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Schadet ein generelles Kinderarbeitsverbot? Stellungnahme zu der Kritik an der UN-Kinderrechtskonvention

 |  Bild:  © Zatletic - Dreamstime.com

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Kritik am Kinderarbeitsverbot der UN wegen unzureichender Berücksichtigung der Lebensrealität.

Zunehmend fordern Experten aus den Bereichen Menschenrechte und Kindesentwicklung die Abschaffung des Kinderarbeitsverbots der UN, weil es kaum positive Effekte habe und realitätsfern sei. Positive Effekte von Kinderarbeit seien bisher ignoriert und nicht ausreichend untersucht worden. Im Rahmen der UN-Konvention haben sich bisher 193 Länder dazu verpflichtet, Kinderarbeit bis 2025 zu beenden. Wissenschaftler plädieren nun für eine Aufhebung des Mindstalters von 15 bis 18 Jahre  (siehe ILO-Konvention 138), da eine dem Alter angemessene Arbeit Vorteile haben könnte.

Thema Schulbesuch:

Die Experten argumentieren, dass ein Verbot von Kinderarbeit nicht automatisch vermehrtem Schulbesuch garantiere: „Ganz im Gegenteil, wenn Kinder arbeiten, könnten sie möglicherweise ihre Schulgebühren zahlen.“, so Dorte Thorsen vom Institut für Global Studies an der Universität Sussex. In manchen Ländern seien Schulen für junge Angestellte entstanden, die aufgrund internationalen Drucks der Kampagne gegen Kinderarbeit  wieder hätten schließen müssen.

Wir sehen dieses Argument kritisch: Selbst wenn ein Kind aufgrund einer Tätigkeit finanziell in der Lage sein sollte, seine Schulgebühren zu bezahlen, mangelt es neben der Beschäftigung an der Zeit, eine Schule überhaupt zu besuchen. Außerdem ist Kinderarbeit durch existenzbedrohende Armut motiviert: die betroffenen Kinder leisten ihren Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie. Die Bezahlung von Schulgebühren kommt daher sicher nicht an erster Stelle. Kinderarbeit ist auch präsent in Ländern, in denen  der Schulbesuch kostenlos ist.

Thema Selbstbestimmtheit

Von den Experten werden die Ergebnisse jahrelanger Forschung präsentiert, die darauf abzielen, Kinderarbeit zu befürworten. Durch gewerkschaftliche Organisation würden z.B. Solidarität und Selbstbestimmtheit gefördert.

Kinderarbeit als Kinderrecht? Wissenschaftler aus den Bereichen Entwicklungspsychologie und Soziologie betonen zunehmend die Notwendigkeit einer Neubewertung von Kinderarbeit – dabei werden immer wieder Kindergewerkschaften als Argument angeführt, um ein generelles Verbot zu kritisieren.  Am Beispiel Bolivien soll dieses Argument entkräftet werden. 2014 legalisierte die bolivianische Regierung Kinderarbeit ab dem Alter von 10 Jahren – auch aufgrund des öffentlichen Drucks durch Kindergewerkschaften. Hierdurch ergeben sich jedoch für uns zahlreiche offene Fragen:

  • Wer überprüft die Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen? (In Bolivien sehen diese eine Freiwilligkeit der ausgeübten Tätigkeit und nicht mehr als 6 Stunden pro Tag vor)
  • Wie soll nachhaltige Bildung gewährleistet werden, wenn nach dem Entwurf dafür täglich nur 2 Stunden veranschlagt werden?
  • Rechte, die die Kindergewerkschaften einfordern, beziehen sich vornehmlich auf Gesundheitsvorsorge und Bildungsangebote – dies fällt auch ohne Kinderarbeitslegalisierung in den Verantwortungsbereich des Staates.
  • Wie sieht es mit der Belangung der Arbeitgeber aus? Rückwirkende Entschädigungszahlungen an die Familien arbeitender Kinder sind nicht vorgesehen. Das Gesetz bezieht sich ausschließlich auf selbständige Arbeiten.

Kinderarbeit als einen wertvollen  Beitrag zur Subjektbildung anzuführen ist ein sehr strittiges Argument. Die Kinder arbeiten nicht freiwillig, sondern aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus. Eine tatsächliche Selbstbestimmtheit kann aber nur erfahren werden, wenn Arbeit nicht aus Not heraus ausgeübt werden muss. Jedes Kind will lieber lernen und spielen als arbeiten. Die Gewerkschaften stellen für die Kinder eine Möglichkeit dar, im Sinne einer Symptombekämpfung diese Notwendigkeit so erträglich wie möglich zu nachen. Die wirtschaftspolitischen Probleme werden dadurch aber nicht gelöst. Ganz im Gegenteil: Die gewerkschaftliche Organisation von Kindern zu unterstützen – ohne gesamtpolitischen Auftrag – bedeutet, Akteure aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ihrer Verantwortung zu entbinden, Kindern ein kindgerechtes Leben zu ermöglichen.

Thema Unternehmensverantwortung:

Kritisiert wird durch die Experten auch, dass durch das britische Institut für internationale Entwicklung Druck auf britische Unternehmen ausgeübt wurde, deren Lieferketten nach Anzeichen von Kinderarbeit zu überprüfen. Thorsen wirft in dem Zusammenhang den Unternehmen „mangelnde Kompetenz“ vor.

Lässt man aufgrund der „mangelnden Kompetenz“ Kontrollen lieber gleich sein? Sollen Unternehmen nicht zur Verantwortung gezogen werden, nur weil sie ihrer Kontrollfunktion nicht nachkommen? Selbstverpflichtungserklärungen der Wirtschaft sind nur effektiv, wenn sie in wirksame Kontrollsysteme – über die gesamte Produktions- und Lieferkette hinweg – eingebunden werden. Unabhängige, unangekündigte und regelmäßige Kontrollen in den Zulieferbetrieben sind ein nachhaltiges Mittel, um Kinderarbeit ausschließen zu können. Hier können unabhängige Zertifizierer beauftragt werden. Den Druck auf Unternehmen zu kritisieren, bedeutet die Unternehmen aus ihrer Verantwortung zu nehmen. Was dann passiert sehen wir am Sumangali-Schema oder beim Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes in Bangladesh.

Thema UN-Konvention und nationale Gesetzgebung:

Die Experten kritisieren, dass es nicht genüge, die UN-Kinderrechts-Konvention einfach auf nationaler Ebene umzuwandeln. Die individuelle Situation der einzelnen Familien komme dabei zu kurz. Mélanie Jacquemin, Soziologin an der Universität Marseille, forscht an der Elfenbeinküste zu Arbeitsmigration durch Kinder und Erwachsene in die Städte. Sie betont das Vorhandensein von schlechten Verhältnissen, Freiheitsberaubung und Menschenhandel. Ihrer Einschätzung nach seien das jedoch Einzelfälle.

Hier sollte bereits an der Basis angesetzt werden:  Es scheitert schon an der ungenügenden nationalen Umsetzung, an nationalen Kontrollsystemen und fehlenden Sanktionierungsmöglichkeiten. Selbst wenn es sich um Einzelfälle handelt, ist dies kein stichhaltiges Argument, um die UN-Kinderrechtskonvention in Frage zu stellen.

Thema ILO-Kernarbeitsnormen

Der Begriff  der Kinderarbeit sollte zunächst differenziert definiert werden. Wie würde bei einer Abschaffung der UN-Kinderrechtskonvention mit den ILO-Kernarbeitsnormen umgegangen? Ein Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit nach den ILO-Konventionen 138 (Mindestalter) und 182 (schwerste Formen von Kinderarbeit) ist unserer Einschätzung nach nicht verhandelbar. Eine Abschaffung der UN-Konvention impliziert die Gefahr einer Legalisierung und Entkriminalisierung von ausbeuterische Kinderarbeit.

Kinder, deren psychische, sittliche und physische Entwicklung durch die ausgeübte Tätigkeit geschädigt wird, müssen geschützt werden. Unstrittig ist dies bei den schlimmsten Formen ausbeuterischer Kinderarbeit wie Kindersoldaten, Kinderprostitution und Kinderpornografie.

Um ausbeuterische Kinderarbeit zu verhindern, wäre ein Kippen der UN-Konvention kontraproduktiv. Statt dessen sollte unter Einbindung von politischen Verantwortlichen, Vertretern der Zivilgesellschaft und Stakeholdern daran gearbeitet werden, vor Ort die nationale Gesetzgebung umzusetzen,  zuverlässige Kontrollsysteme zu implementieren, den Erwachsenen existenzsichernde Löhne zu garantieren und einen leichteren kostenfreien Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

Quellen:

zeit online

the guardian




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