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Soziale Kriterien bald auch im deutschen Vergaberecht?

Kerstin Andreae, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion

Über 90 Teilnehmer aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Verbänden und NGOs waren der Einladung der Grünen-Bundestagsfraktion zur gestrigen öffentlichen Fachtagung „Vergaberecht reformieren – Rechtssicherheit schaffen“ gefolgt. Dringenden Handlungsbedarf zur Beseitigung von Rechtsunsicherheit und Intransparenzen beklagten alle Seiten, stimmten inhaltlich darin aber nur zum Teil überein. Den politischen Blick auf die Debatte schärften Vertreter der EU, vom Bund, Ländern und Kommunen. Heide Rühle, Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, wies darauf hin, dass die EU-Richtlinie zur Reform des Vergaberechts bereits von 20 EU-Mitgliedsstaaten übernommen wurde. Deutschland gehört bisher nicht dazu. Herr Dr. Marx vom Bundeswirtschaftsministerium gibt Ressortstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern als Scheiterungsgrund für die bereits 2005 versuchte Reform des Vergaberechts an. Somit fehlt dem Bund bei seinen Großeinkäufen (EU-Richtlinie regelt nur Aufträge über 5,15 Mio Euro, darunter greift das Haushaltsrecht) weiterhin die rechtliche Sicherheit, soziale und ökologische Kriterien bei der Vergabe zu berücksichtigen. Es geht immerhin um 60 Milliarden Euro jährlich, das sind 20 Prozent des gesamten öffentlichen Auftragvolumens. Bisher muss der wirtschaftlichste, meist der günstigste Anbieter, den Zuschlag erhalten. Ob er im Ausland unter Missachtung von Menschenrechten so günstig produzieren lässt, muss unter der jetzigen Gesetzeslage bei der Zuschlagserteilung unberücksichtigt bleiben.
Ein zentrales Problem bei der Berücksichtigung so genannter „vergabefremder Aspekte“ stellt deren meist fehlende Kontrolle dar, weswegen sich auch die anwesenden Vertreter der Wirtschaft mehrheitlich gegen eine derartige „Aufweitung“ des Vergaberechts aussprachen. Im Umweltbereich konnte durch die Verwendung von Siegeln wie dem Blauen Engel oder dem Ökosiegel bereits Kontrollsicherheit geschaffen werden. Die Grünen sehen den Bund in der Pflicht, auch Zertifizierungen für die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen, das Verbot von Lohndumping oder den Verzicht auf ausbeuterische Kinderarbeit auf den Weg zu bringen. Nur wenn die Sozialstandards auch überprüfbar gemacht werden können, entfällt die Gefahr, dass sie blosse Papiertiger bleiben und ihre allgemeine Akzeptanz wie auch bei den Umweltstandards wird vermutlich steigen. Peter Defranceschi vom Iclei-Europa-Büro in Freiburg, kann als Berater für nachhaltige Beschaffung von Kommunen Deutschlands zögerliche Haltung nicht verstehen. Rechtssicherheit bieten bereits einige EuGH-Urteile im Umweltbereich. Befürchtete finanzielle Mehrkosten könnten durch gemeinschaftliche Beschaffung umgangen werden. Ein mangelndes öffentliches Interesse wäre in Deutschland ebenso wenig zu beklagen. Defranceschi nennt hier Deutschlands Vorreiter-Rolle in Sachen Ökostrom und die Kampagne gegen ausbeuterische Kinderarbeit. Richard Geiger erläuterte das Landshuter Verfahren, um Beschaffung ohne Kinderarbeit zu garantieren. Er betonte, dass man das Kriterium „ohne Kinderarbeit“ nicht einfach mit dem Argument „vergabefremd“ abtun könne, da es hierbei um eine illegale Praxis geht, die keinesfalls von staatlichen Stellen unterstützt werden darf. Einsparungen dürfen nicht auf Ausbeutung beruhen. Eine rechtliche Klarstellung solcher gesellschaftlichen Leitplanken sollte dringend erfolgen, wobei dies auch außerhalb des Vergaberechts denkbar ist. Die mangelnde Überprüfbarkeit von Erklärungen, die Unternehmen in diesem Zusammenhang in Landshut abgeben, ist ein Problem. Zertifikate, zum Beispiel über die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, hält Geiger deswegen für unabdingbar. Häufig wissen Unternehmen selbst nichts über Produktionsbedingungen entlang ihrer Wertschöpfungskette. Der Landshuter Beschluss gegen Kinderarbeit hat vor diesem Hintergrund in Verwaltung und Wirtschaft vor allem zur Bewusstseinsbildung geführt. Frau Prof. Dr. Elke Gurlit vom Deutschen Juristinnenbund bestätigte, dass der Begriff „vergabefremd“ überholt sei, da verschiedene grundsätzliche und europarechtliche Möglichkeiten zur Verankerung sozialer und ökologischer Kriterien vorhanden seien, was allerdings Konflikte nicht ausschliesse. Heiko Glawe von Gewerkschaftsgrün hält ebenfalls soziale Kriterien wie die ILO-Kernarbeitsnormen in der Vergabe für unabdingbar, was u.a. auch einer entsprechenden Schulung aller Verwaltungsmitarbeiter im Vergabeverfahren bedarf. „Viele Leute haben kein Verständnis dafür, warum der Zoll Fälschungen beschlagnahmen kann, aber Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit nicht“, so Dr. Alexander Fonari vom Eine Welt Netzwerk Bayern e. V. Er erwartet von den Gesetzgebern, Rechtssicherheit für alle Ebenen und einen sinnvollen Rahmen zu schaffen, der die Einhaltung international vereinbarter Standards in der Vergabe garantiert. Kerstin Andreae versprach abschließend, die vielfältigen Anregungen in eine Überarbeitung des von den Grünen am 24.10.2007 eingereichten Antrags einfliessen zu lassen und die Bundesregierung zum Handeln in der Vergaberechtsreform zu bewegen. Link zur ausführlichen Auswertung der Fachtagung




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