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Heiße Ware ‚Kinderbraut‘

aktiv gegen kinderarbeit |  Bild:  © earthlink e.v.

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„Diese Mädchen werden wie Vieh behandelt. Sie sterben. Wir können nicht dulden, dass kleine Mädchen verheiratet und gezwungen werden, Kinder zu produzieren. Das ergibt aus medizinischer Sicht keinen Sinn, und es ergibt aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn“ – Marvi Memon, pakistanische Politikerin. 1)

 

Nicht alle sind der Meinung, die Marvi Memon vertritt. In Pakistan sind Kinderehen immer noch an der Tagesordnung. Rund 7% der pakistanischen Mädchen werden laut UNICEF verheiratet, bevor sie das 15. Lebensalter erreicht haben. 1) So erging es auch Sonia Shah, die von ihrem Vater mit nur 13 Jahren dem 70-jährigen Syed Mohammad Ali Shah versprochen wurde. Der Vater des Mädchens gab an, er habe das Geld, 100 000PKR (~700€), dringend gebraucht, um den Anbau eines zusätzlichen Zimmers an seinem Haus zu finanzieren. Der Bräutigam, der bereits zwei Ehefrauen hat, behauptete dagegen, er habe 50 000PKR bezahlt, die der Vater für die Mitgift und Ähnliches benötigte. Trotz der Unstimmigkeiten bzgl. des genauen Betrags, scheint es, als sei für die beiden Männer die Hochzeit also ein reines Geschäft gewesen. Für die 13-jährige Sonia Shah sollte die Entscheidung dagegen ihr ganzes Leben bestimmen.
Durch einen anonymen Hinweis konnte die Polizei jedoch eingreifen. Der Bräutigam, der Vater der Braut, der Standesbeamte und zwei Zeugen wurden inzwischen verhaftet – und auch die minderjährige Braut. Dabei sollte man doch meinen, dass ihr keine Schuld zukommt. 2) 3)

 

Die Eheschließung ist in Pakistan für Männer gegenwärtig ab 18 Jahren erlaubt, für Mädchen ab 16 Jahren. An das Gesetz gehalten wird sich aber nicht unbedingt. Es ist üblich, die Mädchen bereits minderjährig zu verheiraten oder als ‚Wiedergutmachungsgeschenk‘ zwischen zwei zerstrittenen Familien einzusetzen. Wird eine Eheschließung mit Minderjährigen entdeckt, droht den Involvierten eine Geldstrafe von gerade einmal 10$. Dazu kann eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr kommen. Marvi Memon fordert, dass die Strafen erhöht werden sollen: Auf 1000$, was in Pakistan einem guten Monatslohn entspricht, und bis zu zwei Jahre Haft. Ihr Gesetzesentwurf stößt jedoch auf viel Protest, auch in ihrer eigenen Partei; 1) und auch der Rat für Islamische Ideologie ist dagegen. 4) 5) Der Rat wurde 1962 gegründet und soll das Parlament in Bezug auf die Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Scharia, also den Gesetzen des Islam, beraten. 5) Der Vorsitzende des Rates, Maulana Mohammad Khan Sheerani, forderte kürzlich die Abschaffung des Gesetzes, welches das Mindestalter für die Heirat festlegt. Laut dem Koran sei die nötige Reife, die man für eine Heirat haben muss, nicht an einer Zahl festzumachen. Vielmehr sei jeder in der Lage zu heiraten, sobald er in der Pubertät sei. Neben dem Gesetz zum Mindestalter bei der Eheschließung fordert Sheerani außerdem die Legalisierung von Polygamie. Bisher müssen die bisherigen Ehefrauen eines Mannes einer neuen Ehe zustimmen. Laut dem Koran seien einem Mann aber vier Frauen erlaubt; eine Erlaubnis der bisherigen Gattinnen sei überflüssig. 4)

Momentan ist noch offen, wie die Regierung auf die Forderungen des Rates für Islamische Ideologie reagieren wird. Bereits letzten November hatte der Rat kritisiert, dass DNA-Spuren in einem Vergewaltigungsfall nicht als Beweismittel ausreichen würden. Laut der Scharia müsse die anklagende Frau als Beweis stattdessen vier Zeugen benennen können. 5) Diese Forderungen und die aktuellen Anmerkungen, dass Kinderehen und Polygamie erlaubt werden sollten, stellen eine erhebliche rechtliche Einschränkung aller Mädchen und Frauen in Pakistan dar. „Die Verordnungen des Rates für Islamische Ideologie sind streng genommen nicht rechtlich verpflichtend, aber sie haben ausreichend Präsenz, um die Legislative zu beeinflussen“, so Gibran Peshimam, Politikexperte bei Express Tribune. 1)

Umso wichtiger sind Menschen wie Marvi Memon, die sich für die Rechte von Mädchen und Frauen einsetzen. Denn besonders das Problem der Kinderehen nimmt ein besorgniserregendes Ausmaß an. Immer wieder müssen die Kinder auch ohne das Einverständnis ihrer Eltern den Bund der Ehe schließen. Rund 700 katholische und 300 hinduistische Mädchen werden jährlich entführt, gezwungen, zum Islam zu konvertieren, und dann verheiratet. 6) Andere werden, wie die 13-jährige Sonia Shah, von ihren Vätern gegen eine erhebliche Summe Geld verkauft. Dabei sind die Mädchen „physisch und psychisch nicht bereit. Sie werden fast immer aus der Schule genommen, so dass ihnen die Möglichkeit auf Bildung verweigert und somit ihr Potenzial, zu arbeiten und einen sozialen und wirtschaftlichen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, verschenkt wird“, so Ann Warner, Expertin für Gleichberechtigung und Jugend. 1) Und besonders die frühen und zu schnell aufeinander folgenden Schwangerschaften sind für die Kinderbräute gefährlich: Nicht von ungefähr kommt die hohe Säuglingssterblichkeitsrate  71/1000 (Todesfälle innerhalb des ersten Lebensjahres/1000 Lebendgeburten), die weltweit mit am höchsten ist. 4) Und auch die Mütter sehen sich der Gefahr eines frühen Tods und schweren Erkrankungen ausgesetzt.

 

Es scheint jedoch, als seien die Probleme im Zusammenhang mit Kinderehen in der Gesellschaft noch nicht angekommen. So führte die Festnahme der Beteiligten an Syed Mohammad Ali Shahs und Sonia Shahs Hochzeit zu einem Proteststurm der Angehörigen vor dem Polizeirevier. Dass die Ehe für ein 13-jähriges Mädchen vielleicht zu früh und noch dazu rechtlich nicht erlaubt ist, scheint unwichtig zu sein. 7) Man kann nur hoffen, dass die Regierung zumindest das Gesetz unangetastet lässt, um die Rechte der Mädchen nicht noch weiter zu schwächen.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. NBC News, 29.03.2014: Girls ‚treated as cattle‘: child brides divide Pakistan
  2. Business Standard, 08.04.2014: 70-year-old Pakistani man arrested for marrying 13 year ols girl; Aufgerufen am 09.04.2014
  3. Oman Tribune, 07.04.2014: 70-year-old man, 13-year-old bride arrested; nicht mehr verfügbar
  4. International Business Times, 11.03.2014: Child Marriage Should Be Legal: Pakistani Legal Advisory Body; Aufgerufen am 09.04.2014
  5. Deutsch-türkische Nachrichten, 13.03.2014: Rückschritt in Pakistan: Oberster Glaubensrat hält Verbot von Kinderehen für unislamisch; Aufgerufen am 09.04.2014
  6. Business Standard, 09.04.2014: 1000 minority girls forced to convert, marry Pak Muslim men every year: report; Aufgerufen am 09.04.2014
  7. Oman Tribune, 07.04.2014: 70-year-old man, 13-year-old bride arrested; Aufgerufen am 09.04.2014



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