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Die EU verliert Flüchtlingskinder an den Menschenhandel

 |  Bild:  © Paha_l - Dreamstime.com

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Seit dem Sommer 2014 werden fast 5 000 unbegleitete Minderjährige, die an der italienischen Küste angekommen sind, vermisst, und doch sucht keiner nach ihnen. Die Kinder, die die italienischen Küsten erreichen, kommen meistens allein, sie stammen aus Nordafrika, fast 25 Prozent flüchteten aus Ägypten. Die Flüchtlingskinder kommen nach Europa, um zu überleben.

Die Hoffnungen der geflüchteten Kinder

Oftmals werden sie von ihren Familien geschickt, welche dafür ihr Hab und Gut verkaufen, in der Hoffnung, hier ein Leben aufzubauen und den restlichen Familienmitgliedern finanziell aushelfen zu können. Manche von ihnen haben Verwandte irgendwo in Europa und versuchen zu ihnen zu kommen. Das italienische Gesetz gibt vor, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein sofortiges Bleiberecht bekommen.

Ihre Realität

Doch das italienische Asylsystem ist überlastet und der bürokratische Aufwand enorm. So entstehen Wartezeiten von Monaten bis zu Jahren, um auf legalem Wege ein Leben in Europa zu beginnen. Was den Kindern zumeist bevorsteht, ist grausam. Sie enden im Sexhandel oder als fast unbezahlte Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Einige Kinder sind auf dem Frucht- und Gemüsemarkt (Centro Agrolimentare Roma) in der Hauptstadt Italiens, Rom anzutreffen, wo 12-Jährige Kisten schleppen und Lastwagen verladen. Sie werden von Menschhändlern vor den Auffanglagern abgefangen und ihre Hilflosigkeit wird schamlos ausgenutzt. Die Unterkünfte für unbegleitete Minderjährige sind überfüllt und so landen viele von ihnen in Auffanglagern für Erwachsene.

Thyes Wikimedia Commons
Thyes Wikimedia Commons

Dort werden sie nicht ausreichend betreut und sind eine leichte Beute für Menschenhändler. Sexuelle Ausbeutung ist die Realität zahlreicher minderjähriger Flüchtlinge. Die Kinder werden immer tiefer in das verstrickte System der organisierten Menschenhändler hineingezogen. Ihnen wird eingeredet, dass sie Schulden für etwaige Unterkünfte und Transport zu begleichen haben und sie werden gezwungen, diese abzuarbeiten. Manchen Kindern wurde sogar zuhause aufgetragen, Kontakt zu Menschenschmugglern aufzunehmen, um zu ihren Familienmitgliedern in Europa zu gelangen. Dass diese Kinder meist nicht an ihrem gewünschten Ort ankommen ist in ihren Heimatländern nicht bekannt oder ein Risiko, welches in der Not in Kauf genommen wird. Wenn ein unbegleitetes Flüchtlingskind in Europa vermisst wird, gibt es keine großen Suchaktionen oder Anstrengungen der Polizei. Falls das Kind in den nächsten Tagen nicht zurück in das Auffanglager kommt, so wird das Bett anderweitig vergeben.

Was machen die italienischen Behörden und die EU?

Es wird diskutiert, einen legalen Rotlichtbezirk in Rom zu errichten, um dadurch die Kontrolle verstärken zu können und den Sexhändlern entgegenzuwirken. Kritiker sehen das als problematisch an, da durch die Legalisierung die Arbeit der Sexhändler lediglich vereinfacht würde. Ein Sprecher des italienischen Ministeriums für Arbeit und Soziales prophezeit für 2015 eine Eskalation der Kinderarbeit im Bereich der Prostitution und im Agrarsektor. Im Interview mit der Thomson Reuter Stiftung teilt ein Beamter des Ministeriums für Arbeit und Soziales mit, dass aufgrund der hohen Zahlen an minderjährigen Flüchtlingen keine Behörde in der Lage sei, das ihnen wohl bekannte Problem zu lösen. Sandra Zampa, Parlamentarierin der demokratischen Partei (Partito Democratico) sieht das Problem vor allem in der ersten Phase, direkt nach der Ankunft. Sie kritisiert, dass es kein effizientes System gibt, um den Kindern ein Zuhause zu beschaffen und einen Schulplatz zu vermitteln. Offiziell geben Sprecher des Ministeriums für Arbeit und Soziales an, dass Schritte unternommen werden um die Situation zu kontrollieren, wobei davon in der Realität wenig zu merken ist. 1) , 2)

Europa, Flagge
Europa, Flagge

Dies wirft die Frage auf, warum die Europäische Union Italien alleine lässt. Länder wie Deutschland haben sich  durch die Zuständigkeits-Regelung abgesichert, welche besagt, dass die Ankunftsländer die Flüchtlinge übernehmen müssen (Dublin II Verordnung). Die Europäische Kommission schlug Ende Mai die Einführung eines Quotensystems vor, bei dem eine gerechtere Aufteilung der Flüchtlinge anhand von Quoten auf alle EU Länder vorgeschrieben wäre. Auf diesen Vorschlag hin gab es starke Reaktionen vor allem in Frankeich, Polen und Großbritannien, die sich gegen eine derartige Regelung wehren .Auch Deutschland will nur bestimmte Flüchtlinge unter der Quotenregel verteilen. Bundesinnenminister de Maizière (CDU) spricht von Flüchtlingen mit „dauerhafter Bleibeperspektive“, die in Deutschland willkommen wären. 3) Eine Einigung über eine europäische Asylpolitik ist vorerst nicht in Sicht. Die Situation kann allerdings nur durch eine neue europäische Flüchtlingspolitik entschärft werden. Lässt man Italien und Griechenland weiter allein, ist es zum einen humanitär unverantwortlich und zum anderen ein Verstoß gegen die Prinzipien der EU. Der Zusammenschluss basiert auf Werten wie der Menschenwürde, die ein soziales Handeln vorgeben. 4) Italiens Politiker sind verzweifelt und versuchen, die Vereinten Nationen für einen Militäreinsatz zu gewinnen, bei dem libysche Flüchtlingsboote zerstört werden sollen, um die Zuwanderungsströme zu verhindern. Das ist das Ergebnis einer fragwürdigen europäischen Politik, die sich lieber abschottet als ihre Verantwortung anzunehmen und endlich anfangen sollte, europäisch zu handeln und eine gemeinsame Politik der Flüchtlingsaufnahme und Integration zu fahren. 5)

 

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Reuters, Tom Esslemont: Exclusive: Migrant children fleeing poverty face labor, sex exploitation in Italy, Stand 08.06.15
  2. The Daily Beast, Barbie Latza Nadeau: Why is No One Looking for These 5,000 Missing Kids? , Stand 08.06.15
  3. Die Zeit, Deutschland will nur bestimmte Flüchtlinge neu verteilen, Stand 08.06.15
  4. Gründungsprinzipien der Europäischen Union
  5. Süddeutsche Zeitung, EU Zuständigkeiten für Flüchtlinge funktionieren nicht Stand: 08.06.15



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